03. Juni 2020

Peru in den Zeiten des COVID-19

Von Gerardo Basurco, Nora Basurco - Freie Mitarbeiterin, Themen Gesellschaft und Kultur | Binnenwirtschaft | Soziale Entwicklung | Newsletter - 2020 - 06 Juni

Das peruanische Paradoxon

Quelle:Johns Hopkins University in Süddeutsche Zeitung vom 3.6.2020

Der erste Coronavirus-Fall in Peru wurde am 6. März bekannt gegeben, 10 Tage später wurde der Notstand ausgerufen, die Grenzen geschlossen und eine Quarantäne der peruanischen Bevölkerung verordnet. Eine nächtliche Ausgangssperre folgte drei Tage später und sonntags herrscht seitdem eine totale Ausgangssperre. Parallel dazu kündigte die Regierung ein ökonomisches Hilfspaket an, das 12% des BIP entspricht (Vgl. BBC). Die Anzahl der Krankenhausbetten und Intensivstationen mit mechanischen Beatmungsgeräten wurde massiv aufgestockt und über 1,5 Mio. Test-Kits wurden aus China geordert. Alles schien zunächst unter Kontrolle zu sein, Peru hatte aus den Erfahrungen in Asien und Europa und nicht zuletzt aus der Katastrophe beim Nachbarn Ekuador gelernt. Seit 78 Tagen hält die Quarantäne und Ausgangssperre an und die ersten Wirtschaftsaktivitäten werden sogar vorsichtig initiiert, doch plötzlich steigt die Zahl der Infizierten an COVID-19 stark an und Peru ist nun auf Platz 10. der Länder mit den meisten Infizierten der Welt. Letzte Woche lag die tägliche Anzahl der Neuansteckungen bei 4000, seit dem 26. Mai steigt diese kontinuierlich an (26.05.: 5772, 27.05.: 6154, 28.05.: 5894, 29.05.: 6486, 30.05.: 7386 und 31.05.: 8805). Was ist in Peru geschehen?

Ausbreitung der Pandemie

Die ersten mit COVID-19 Infizierten Peruaner kamen aus Europa (Spanien, Italien, usw.) und waren wohlhabende Peruaner, die in wohlhabenden Vierteln und großen Wohnungen in der Hauptstadt Lima wohnen. Dort lässt sich - wie in Europa - die Quarantäne einigermaßen gut ertragen. Aber nach und nach hat sich der COVID-19-Virus auf die Peripherie ausgebreitet, wo die einfachen Leute/ Armen in übervölkerten Häusern und Wohnungen leben. Da diese zudem ohne Arbeit nicht überleben können, ist die Quarantäne über einen längeren Zeitraum kaum einzuhalten. In einem dieser Stadtviertel der Peripherie Limas, San Juan de Lurigancho, lag die Zahl der täglichen Neuansteckungen Anfang Mai bei 100. Diese Zahl stieg ab dem 11. Mai auf über 200, erreichte am 25.5 296 und blieb an den nächsten Tagen auf hohem Niveau. Zugleich bewegen sich normalerweise fast ¼ Mio. Personen täglich von San Juan de Lurigancho ins Zentrum Limas (siehe: Armut und Informelle). Ein Ziel vieler dieser Menschen ist das Stadtviertel La Victoria, wo die größten Lebensmittel- und Bekleidungsmärkte (Obstmarkt, Gamarra, usw.) der Hauptstadt sind.

Markt Lurigancho El Comercio

Das sozial-ökonomische Hilfspaket der Regierung

Für die sogenannte Phase der „Epidemie-Eindämmung“, hat das Finanzministerium ein ausgeklügeltes System von Gutscheinen eingeführt, welches speziell auf die Bevölkerung der Elendsviertel (Peripherie) abgezielt ist, um die Einhaltung der Quarantäne dort erträglicher zu machen. Arme städtische Haushalte erhielten so 380 Soles für zwei Wochen (ca. 100 Euro), was dann um weitere 380 Soles erhöht wurde, außerdem erhielten „selbständige Arbeitnehmer“ (im informellen Sektor) 760 Soles. Zudem erhalten arme Haushalte Lebensmittelkörbe von den Gemeindeverwaltungen. Für Kleinst- und Mittelunternehmen wurde ein Fonds zu günstigen Bedingungen mit Sicherheitsgarantien der Regierung aufgelegt sowie ein Lohnzuschuss für Unternehmen.

Das Wirtschaftspaket für die Wiederankurbelung der Wirtschaft

In der Zeit der Quarantäne durfte nur in Lebensmittelgeschäften und –märkten und Apotheken gearbeitet werden, sowie im Gesundheits- und Bankenwesen und in den Medien. Seit Mitte Mai wurden schrittweise weitere Wirtschaftsaktivitäten zugelassen, wie die Fischerei, bestimmte Bereiche des Bergbaus und der Industrie, bestimmte Bauprojekte, der E-Commerce, Lieferungen von Restaurants, usw. Zusätzlich wurden Dienstleistungen für Haushalte, wie Handwerksleistungen, Friseure, Massage und ähnliches zugelassen.

In drei aufeinanderfolgenden monatlichen Phasen sollen weitere Wirtschaftsaktivitäten zugelassen werden, so dass Ende August die Wirtschaft wieder zu 85% arbeiten kann. Für von COVID-19 betroffene Unternehmen arbeiten die Fachministerien an gezielten Förderungsmaßnahmen, für welche die Finanzmittel schon bereitstehen.

Lage der Wirtschaft Ende März

Das Institut für Statistik und Informatik (Vgl. INEI) gab am 21. Mai bekannt, dass im März dieses Jahres das BIP um 16% und die Exporte um 10% gefallen wären. Geordnet nach Wirtschaftsbranchen ist der Rückgang in der Bauwirtschaft mit 46,28%, in der Hotellerie- und Restaurantbranche mit 42,35%, in der Industrie mit 32,23%, im Bergbau mit 21,82 und in der Fischerei mit 15,3%, am stärksten. Des Weiteren ist die formelle Beschäftigung um 25% gefallen und die Wirtschaftskapazität wird momentan nur zu 45% genutzt. Der Ökonom Elmer Cuba geht davon aus, dass die Corona-Krise die Armut bis zum Jahresende um mindestens 8% erhöhen wird, womit Peru auf den Armutswert von 2011 zurückfallen würde.

Die Rolle des informellen Sektors bei der Pandemieentwicklung

Laut INEI sind 70% der Beschäftigten im informellen Sektor tätig. Die Chefin des Operationskommandos COVID Pilar Mazzetti beschrieb das Verhalten dieser Beschäftigtengruppe wie folgt: „die ´informellen Arbeitnehmer´ können Lebensmittel kaufen an dem Tag, an dem sie arbeiten, wenn sie nicht arbeiten, können sie das nicht tun“. Hinzu kommt, dass die Mehrheit dieser Zielgruppe nicht über einen Kühlschrank verfügt (siehe: Erhebung INEI). Aus diesem Grunde könnten sie die Quarantäne nicht solange aushalten. Sie benutzen überfüllte Transportmittel zu den Märkten und infizieren so sich oder andere. Sie wohnen in den Elendsvierteln und arbeiten in der Stadtmitte; es sind hunderttausende Menschen, die sich täglich hin- und her bewegen. Hinzu kommt, dass sie oft nicht über ein Bankkonto verfügen und um die Subventionen der Regierung zu erhalten Schlange vor den Bankfilialen stehen müssen und in dieser Situation meist nicht den vorgeschriebenen Mindestabstand einhalten.

Ferner zogen Bewohner des Hochlands und der Urwaldregionen in die Hauptstadt um dort zu arbeiten und während des Ausbruchs von COVID-19 versuchten sie zu Fuß nach Hause zurück zu gehen. Fast ¼ Mio. Personen wanderten von Lima in die Provinzen oder von einer Provinz zur anderen. Im Zuge dessen haben sich zahlreiche dieser Menschen unterwegs angesteckt oder die Krankheit in ihren Herkunftsregionen übertragen.

Markt Lima gestion

Schlussbemerkungen

Die Regierung hat zwar rechtzeitig Maßnahmen zur Vorbereitung der Gesundheitsengpässe (Aufstocken der Krankenhausbetten auf 10000 und Intensivstationen auf 1000), zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus (Quarantäne und Ausgangssperre) und Linderung der dadurch entstandenen monetären Engpässe(Gutscheine) ergriffen, viele davon haben aber nicht die erwartete Wirkung erzielt (Nicht-Beachtung der sozioökonomischen Struktur des informellen Sektors, mangelhafte Gesundheits-Infrastruktur in bestimmten Regionen [z.B. Loreto]) oder es gab Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser(Auszahlung der Gutscheine und Erreichen der Zielgruppe).

Die staatlichen Zahlen zur Entwicklung der Pandemie sind mit Vorsicht zu genießen, so beispielsweise soll - nach Angaben von IDL-Reporteros (Vgl. IDL) und von Vox Populi (Vgl. RPP2) - die Zahl der Toten viermal höher liegen als die von der Regierung veröffentlichten. Weiterhin müssen die Zahlen zum anhaltenden Anstieg der Infizierten relativiert werden, weil diese vor dem Hintergrund der starken Zunahme an Tests, Test Ort und Test Typ gesehen werden sollten. Die COVID-19-Tests am 30. und 31. Mai betrugen mehr als 40000 am Tag und wurden in bekannten Infektionsherden durchgeführt. Bei den meisten positiv Getesteten wurde der Bluttest verwendet, der COVID-19 auch bei bereits Genesenen feststellen kann. Dadurch wird die Entwicklung der COVID-19 Neuansteckungen verfälscht. Nur der Molekular-Test, bekannt als PCR, liefert die Zahl der frisch infizierten mit COVID-19. Der Bluttest stellt eine gute Ergänzung zum PCR-Test dar, insofern als er die Zahl der Gesamtinfizierten ergänzt. Der Epidemiologe und ehemalige Direktor des Nationalen Gesundheitsinstituts Perus INS Luís Suárez beteuerte, dass die Zahl der positiv Getesteten mit PCR rückläufig ist (Vgl. RPP1).

Dies würde bedeuten, dass Peru das erhoffte Plateau der COVID-19 Infizierten erreicht hätte. Während dies in Lima scheinbar erreicht wurde, bleibt abzuwarten wie die Entwicklung im Rest des Landes ist, da es eine zeitliche Verzögerung gibt. Sorge bereitet die Wiederankurbelung der Wirtschaft, da die Maßnahmen zur Öffnung nur zögerlich vorankommen, da die Gesundheitsauflagen sehr hoch sind.

Der wirtschaftliche Schaden und Kosten der COVID-19 sind enorm und der erwartete gesundheitliche Impakt ist bisher mager.

Quelle: INEI, MINSA1, MINSA2, BBC, CNN, RPP1, RPP2 und IDL

Über den Autor

Gerardo Basurco

Gerardo Basurco

Er betätigt sich als Berater und Projektleiter in der Privatwirtschaft und ist Dozent in Entwicklungspolitik und Landeskunde Lateinamerikas für die AIZ/GIZ. Zudem verfügt er über langjährige Erfahrung in der Kooperation zwischen Deutschland und Lateinamerika.
Bei Peru-Vision ist er zuständig für den Bereich Wirtschaft und Politik sowie Consulting.

Nora Basurco - Freie Mitarbeiterin

Nora Basurco absolvierte nach dem Abitur ein Praktikum als Assistant Teacher von Deutsch und Englisch an der deutschen Schule Max Uhle in Arequipa. Nach dem Studium von European Studies und Informatik ist Nora Basurco als freie Mitarbeiterin für Peru-Vision tätig.

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