14. Dezember 2021
Misstrauensvotum gegen den Präsidenten Pedro Castillo
Antrag wegen anhaltender moralischer Unfähigkeit
Peru-Vision bedankt sich bei Andreas Baumgart für die Genehmigung den folgenden Artikel (Erstveröffentlichung bei Informationsstelle Peru e.V.) in voller Länge in Peru-Vision.com zu veröffentlichen.
Der peruanische Präsident kann im Amt bleiben. Vorerst. Die Opposition lässt nicht locker in ihren Absichten, ihn abzusetzen.
Nach seiner Amtsübernahme erhöhten die rechten und ultrarechten Parteien im Kongress den Druck auf den neu gewählten Präsidenten. Von Anfang an bestand kein Zweifel daran, dass sie Pedro Castillo stürzen möchten. Über das Wie konnten sich die gegeneinander konkurrierenden oppositionellen Kräfte allerdings nie einigen. Zu unterschiedlich die Interessen und die Angst, Castillo könnte, in die Enge getrieben, das Parlament auflösen.
Keiko Fujimori mit Fuerza Popular, Hernando de Soto von Avanza País und Rafael López Aliaga von Renovación Popular anerkennen bis heute das Wahlergebnis nicht und stricken in trumpscher Manier weiter an der Mähr des Wahlbetrugs.
Mit Mirtha Vásquez kehrte zuerst Ruhe ein
Der unablässige Druck, der bei sehr unterschiedlicher Motivation auch von Teilen der Regierungspartei und anderer linker politischer Strömungen ausgeübt wurde, sowie der ausgiebige Einsatz parlamentarischer Instrumente zur Verhinderung einer halbwegs funktionierenden Regierungsarbeit, brachten Castillo dazu, das Kabinett teilweise zu erneuern und Guido Bellido von Peru Libre durch Mirtha Vásquez abzulösen. Das Panorama änderte sich. Mirtha Vásquez, die eine hohe Reputation durch ihre Tätigkeit als Parlamentspräsidentin unter dem vorherigen Präsidenten Francisco Sagasti genießt, moderierte zwischen verschiedenen oppositionellen Gruppen und der neuen Regierung und korrigierte immer wieder undurchdachte Schnellschüsse des Präsidenten. Mit ihr entfernte sich die Regierung weiter von Peru Libre, der Partei von Vladimir Cerron, mit der Castillo als Gast zum Präsidenten wurde. Vásquez und große Teile des Kabinetts sahen sich massiven Angriffen sowohl von Peru Libre als auch der rechtsextremen Opposition ausgesetzt. Und obwohl die Boykottversuche im Parlament weitergingen und einzelne Minister*innen dabei besonders im Fokus standen, sah es kurze Zeit so aus, als hätte die oppositionelle Mehrheit sich teilweise arrangiert und von ernsthaften Sturzversuchen Abstand genommen.
Überraschende Absetzungsinitiative
Deshalb kam eine am 18. November erfolgte Initiative zum Sturz des Präsidenten seitens der Abgeordneten Patricia Chirinos von der rechten Partei Avanza Pais doch überraschend. In dem Antrag wurde wieder einmal das verfassungsrechtlich schwammige und bis heute nicht klar definierte Werkzeug der „anhaltenden moralischen Unfähigkeit“ (permanente incapacidad moral) bemüht, das in den letzten 4 Jahren durch Keiko und deren Verbündete fünfmal eingesetzt wurde, um unliebsame Präsidenten zu Fall zu bringen. Begründet wurde die Eingabe mit der Ernennung von Ministern mit angeblichen Verbindungen zum Terrorismus, mit Eingriffen des engen Vertrauter Castillos, Bruno Pacheco, Chef des Sekretariats des Präsidenten, in die Beförderungsrangfolge von Militärs, mit personellen Umbesetzungen im Bereich Steuerfahndung, mit Ignoranz hinsichtlich der Gewalt gegen Frauen und neben weiteren auch mit der vermeintlichen Nähe zu Venezuela.
Damit der Antrag durch das Parlamentspräsidium angenommen würde, waren 26 Abgeordneten-Unterschriften erforderlich. Zunächst sah es so aus, als könne Chirinos diese nicht zusammenbekommen. Doch durch rege „Überzeugungsarbeit“ gelang es ihr, bis zum 25. November 28 Unterschriften unter das Dokument zu bekommen. Noch schien ein erfolgreiches Amtsenthebungsverfahren in weiter Ferne. Dann lancierten die dominierenden Medien massive Vorwürfe, der Präsident würde auf geheimen Treffen in seinem Privatdomizil gesetzeswidrige Übereinkünfte treffen, vermeintlich weitere Beweise für dessen intransparente Regierungspraktiken. Zur Stimmungsmache wurde die Veröffentlichung beweiskräftiger Abhör-Audios angekündigt, die sich dann allerdings als Luftnummern entpuppten.
Nach der Annahme des Antrags durch das Präsidium am 25. November, musste im nächsten Schritt eine Abstimmung im Kongress über die Durchführung eines Amtsenthebungsverfahrens erfolgen. Dazu wären 52 Ja-Stimmen erforderlich gewesen. Im Verlauf der nächsten Tage vergrößerte sich das Lager derer, die nun doch ernsthaft eine Enthebung ins Auge fassten. Es wurde nicht mehr ausgeschlossen, dass Castillo womöglich doch gestürzt werden könnte. Die Fraktionen von Keiko Fujimori, Hernando de Soto und Rafael López Aliaga bildeten den Hauptblock mit etwa 40 Stimmen, bei wenigen Abweichlern. Zu allem Überdruss kündigte die linke Mehrheitspartei Peru Libre aus dem Hinterhalt an, eine etwaige Unterstützung oder Ablehnung des Antrags „evaluieren“ zu wollen. Vladimir Cerron rief seine Parteiführung zu einer entsprechenden Sitzung ein. Damit sollte Castillo unter Druck gesetzt und dazu gebracht werden, den Einfluss von Peru Libre innerhalb der Regierung wieder herzustellen und programmatisch erneut näher an die Partei heranzurücken. Auf diese Weise von fast allen Seiten unter Druck geraten, beschloss Castillo sich vor der Abstimmung reihum mit allen Fraktionen zu treffen, um Kooperationsmöglichkeiten zu sondieren.
Absetzungsantrag abgeschmettert
Ein Teil der konservativen und liberalen Opposition, darunter Acción Popular mit Yonhy Lescano, Alianza para el Progreso (APP) von César Acuña und Somos Peru mit Daniel Salaverry, die sowohl auf ständige Nadelstiche als auch auf punktuelle Zusammenarbeit zur Stärkung ihres Einflusses auf die Regierungspolitik setzen, konnten offenbar Castillo Zugeständnisse abringen, über die allerdings bis heute nichts Genaues bekannt ist. Auch mit der Partei Los Morados und der linken Juntos por el Perú auf Seiten der Regierung, ging es dann am Dienstag, den 7. Dezember in die Debatte und Abstimmung über die Annahme des Antrags zur Durchführung eines Amtsenthebungsverfahrens.
Wieder einmal hat die Debatte gezeigt, dass die Opposition keine stichhaltigen Beweise vorlegen konnte, die diesen tiefgreifenden Schritt hätten rechtfertigen können. Und wieder ging es gegen die Regierungspolitik und heraufbeschworene Gefahren, die viel mit politischen und religiösen Interessen, aber nichts mit „moralischer Unfähigkeit“ zu tun haben. Mit 46 Ja-Stimmen, 76 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen wurde in der anschließenden Abstimmung der Antrag mit einer deutlichen Mehrheit abgeschmettert und so die Ultrarechten vorerst in ihre Schranken verwiesen.
Wie lange Castillo nun etwas befreiter regieren kann, lässt sich nur schwer abschätzen. Zu viele Fehler, zu große Intransparenz und dubiose Personalentscheidungen prägen seine bisherige Amtstätigkeit. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich daran substanziell etwas ändert. Leider ist damit zu rechnen, dass der Präsident für den Erhalt seiner Macht auch sinnvolle Reformen und Schwerpunktsetzungen zugunsten der Konservativen opfert.
Sicher bleibt, dass Keiko Fujimori nicht locker lassen wird. In Kürze wird das mündliche Vorverfahren gegen sie eröffnet. Ihr drohen 32 Jahre Haft wegen Geldwäsche und anderen Straftaten. Bekanntlich wird auch ihre Partei Fuerza Popular seitens der Staatsanwaltschaft als kriminelle Vereinigung eingestuft und es droht ihre Zwangsauflösung. Neben der Fortsetzung der Angriffe auf einzelne Minister*innen, die Premierministerin und den Präsidenten durch Vorladungen, Untersuchungsverfahren, Boykotts von Gesetzesinitiativen etc. wird die parlamentarische Obstruktion durch die dominierenden Medien mit deren gebetsmühlenartigen Heraufbeschwörung einer kommunistischen Gefahr sekundiert. Wo sie auftauchen, sorgen Keikos und Aliagas neofaschistische Stoßtruppen wie „La Resistencia“ für ein Klima der Angst. Mit roher Gewalt und Drohungen gehen sie gegen die unliebsame Gegner*innen aus dem linken und konservativ-liberalen Spektrum vor. Gleichzeitig schreitet die Schaffung eines schlagkräftigen, gemeinsamen Netzwerks der Ultrarechten Lateinamerikas und Spaniens voran.
Ultrarechte Gruppen im Aufwind mit Hilfe aus Spanien
Unterstützt wird Fujimori durch die rechtsradikale spanische VOX-Partei und den prominenten peruanischen Literatur-Nobelpreisträger Vargas Llosa, der sich kürzlich für die Wahl des Pinochet-Bewunderers José Antonio Kast in Chile ausgesprochen hat und Iván Duque in Kolumbien promotet. Letztlich geht es um die identitäre Verteidigung der „weißen Überlegenheit“ gegenüber den ursprünglichen amerikanischen Bewohner*innen und Brechung der hegemonial geworden negativen Bewertung der spanischen Eroberung. Spanien soll wieder als Heilsbringer Amerikas erstrahlen und die weißen Mittel- und Oberschichten Lateinamerikas stolz auf ihre spanischen „Wurzeln“ zurückblicken. Als Andenbewohner zieht Castillo den tiefsitzenden kulturellen Rassenhass und als Politiker den Hass auf soziale Veränderungen auf sich. Er hat Lima bisher die kalte Schulter gezeigt und das macht die politischen Eliten rasend. Immer wieder wurde er zum Opfer von Hohn und Spott aufgrund seiner deutlich hörbaren andinen Sprachfärbung, die mit einigen begrifflichen Defiziten einhergeht. Statt sich solchen rassistisch-kulturellen Angriffen auszusetzten, reist er unentwegt durch die Anden, um sich vor Ort ein Bild der Dinge zu machen. Das entspricht seinem Verständnis von Volksnähe und gibt ihm auf eigenem Terrain Sicherheit.
Düstere Aussichten
Möchte er seine Regierung weiterführen und dem nächsten Amtsenthebungsversuch, der mit Sicherheit kommen wird, entgehen, muss er sich allerdings der Öffentlichkeit, den medialen Gepflogenheiten und der politischen Sphäre Limas stärker annähern.
.In der programmatischen Umsetzung bleibt die Regierung auf Grund der parlamentarischen Konstellation und dem unübersehbar fehlenden qualifizierten Personal weiterhin stark eingeschränkt. In den nächsten Tagen wird sich das ministerielle Karussell weiterdrehen und für Korruption anfällige Mitarbeiter*innen, wie zuletzt der Sekretär Bruno Pacheco, werden mit ihrer Entlassung rechnen müssen. Leider muss man auch mit neuen Korruptionsfällen rechnen. Ministerien waren schon immer Hochburgen der Korruption. Alte Seilschaften sind fest installiert und die Gefahr für neue Besen groß, besser nicht richtig zu kehren. Indizien sprechen dafür, dass in einigen Ministerien, ausgehend von neuem Führungspersonal, unliebsame und zu kritische Personen entfernt werden.