12. Dezember 2022

El amor y la muerte - ein Retablo

Von Ernst R. Hartmann, Themen Kultur, Gesellschaft und Bildung | Literatur | Newsletter - 31. Januar 2023

El amor y la muerte - ein Retablo

Als ich vor Monaten in einem Reiseführer über Peru zum ersten Mal ein Retablo sah, war ich sofort begeistert. Zumal ich mich schon einige Jahre mit Buchbinde- und Kartonagearbeiten beschäftige und etliche Dioramen hergestellt habe.

Retablos in der peruanischen Volkskunst

Ab dem 6. Jahrhundert sind in Europa Tragaltäre nachweisbar, von Würdenträgern auf Reisen mitgeführt. Sie enthielten Darstellungen von Heiligen und biblischen Szenen, zum Beispiel die Kreuzigung und das Opfer Isaaks. Bei der Evangelisation der „Neuen Welt“ nutzten die spanischen Missionare Tragaltäre als visuelle Hilfsmittel zur Überwindung von Verständigungsschwierigkeiten.

Durch die Verschmelzung von christlichen und indigenen Elementen, durch die Darstellung von Szenen aus dem bäuerlichen Leben – Hahnenkämpfe, traditionelle Tänze und Feldarbeit – entwickelten sich die Altäre allmählich vom sakralen Kultobjekt zum säkularen Kunstgegenstand. In verschiedenen Regionen Perus entstanden Sonderformen. Die Bezeichnung retablo ist der beibehaltenen Altarform geschuldet.

In den Jahren des Bürgerkrieges, in denen unzählige Menschen entführt, gefoltert, ermordet wurden, in denen die Guerilla und das peruanische Militär Massaker an der indigenen Zivilbevölkerung verübten, fanden Darstellungen der Gewalt Eingang in die Retablos.

Heute dienen Retablos neben der Darstellung ländlicher Traditionen auch der Schilderung sozialer Konflikte und des peruanischen Alltags. Des Weiteren finden sich Objekte mit rein abstrakten Motiven.

Für die Herstellung der Retablos wurden Holz, Stuck und Paste, Figuren aus Gips und Kartoffelmasse verwendet, Tempera- und Ölbemalungen, Verzierungen aus Blattgold angebracht. In der Region Ayacucho wurden einzigartige Figuren aus einem Alabastergestein, der piedra de Huamanga, gefertigt. Die einzelnen Teile des Retablos wurden mit Holzstiften, Nägeln, Scharnieren und Angeln befestigt. Gelegentlich wurden Schlösser und kleine Türgriffe angebracht. Im 20. Jahrhundert kamen neue Herstellungstechniken, Materialien und Formen auf.

El amor y la muerte

Den konkreten Anstoß für den Bau eines Retablos erhielt ich durch eine Kunstpostkarte mit dem Titel „El amor / la muerte“, gestaltet von Arturo Sinclair und herausgegeben von Gerardo Basurco. Die Karte lieferte auch den Titel für mein Retablo.

Liebe (nicht die Geburt) und Tod sind mir die Pole unseres Lebens. Unmittelbar zum Ausdruck bringt dies die Kunstpostkarte. Uhren und Ziffernblätter stehen als Symbole für Zeit und Vergänglichkeit. Im letztlich vergeblichen Kampf gegen unsere Sterblichkeit greifen wir zum medizinischen Strohhalm: operative Eingriffe (Abbildung auf den Außenseiten der Flügel) und Medikamente (Injektionsspritzen). Für die den Tod überwindende Liebe steht das Porträtfoto.

Für das Retablo habe ich folgende Materialien verwendet: Finnpappe (eine Maschinenholzpappe), sogenannte Elefantenhaut (Papier mit einer sehr dichten und robusten Struktur; durch Fasereinschlüsse entsteht ein marmoriertes Muster), Bütten, Papyrus, Acrylfarben, Buchbinderleinen und die bereits erwähnten Gegenstände.

Zu weiteren Informationen über peruanische Retablos siehe die Veröffentlichungen des Lateinamerika-Instituts der Freien Universität Berlin.

Über den Autor

Ernst R. Hartmann

Ernst R. Hartmann

Ernst R. Hartmann, geboren 1950 am linken Niederrhein. Versteht „links“ nicht nur geographisch. Nach Abitur, kaufmännischer Lehre und Ersatzdienst in einem Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt Studium der Mathematik und der Wirtschaftswissenschaften in Aachen und Freiburg i. Br. Arbeitete lange Jahre als Consultant in Einrichtungen des Gesundheitswesens und als Dozent vorwiegend in der Weiterbildung von Pflegekräften.

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