08. Mai 2014

Im Porträt: Peru-Gruppe Heubach hilft Armenviertel zur Selbsthilfe

Von Richard Meier - Freier Mitarbeiter, Themen Soziale Entwicklung | Entwicklung

"Die Armut wächst die Berge hinauf." Es klingt einerseits Resignation aus den Worten von Gerhard Ritz, der seine Reise nach Laderas am Stadtrand von Lima wiederholt hat. Mitte der 90er Jahre waren er und weitere Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde aus dem schwäbischen Heubach das erste Mal dorthin gefahren. Damals lebten in dem erst 1989 von 21 Familien gegründeten Ort schon 20.000 Menschen in ärmlichen Behausungen. Heute sind es 70.000. An steinigen Wüstenbergen entstehen unablässig neue Hütten und Holzverschläge, weil nach wie vor viele Familien aus den Provinzen Perus zur Hauptstadt ziehen, um ein Auskommen und Ausbildung für ihre Kinder zu finden.

Andererseits weiß Ritz Ermutigendes zu berichten. Im Inneren des Viertels Laderas hat sich seit seinem ersten Besuch vor 18 Jahren eine Infrastruktur aus Läden, Wasserversorgung, Stromleitungen und Werkstätten gebildet; anstelle von Unterkünften aus Bast, Planen oder Wellblech sieht man nun gemauerte Häuser. Was ihn noch mehr beeindruckt sind die Einwohner selbst: "Sie haben Würde und Selbstachtung. Trotz der Not erlebten wir durchweg Freundlichkeit und Zufriedenheit – nie Neid, kein Betteln, keinen Diebstahl", sagt Ritz, der auf anderen Reisen in Afrika oder im Mittleren Osten einen weitaus "größeren Druck" gegenüber Fremden empfand. Allerdings schränkt er ein, dass es auch in den Randbezirken Limas kriminelle Jugendbanden gibt.

Auf ihrer ersten Reise nach Laderas im Jahr 1996 hatten Ritz und seine Begleiter Medikamente, Spielzeug und andere Dinge im Gepäck, die von der Kirchengemeinde vor Ort für die Unterstützung der Ärmsten benötigt wurden. Die Verbindung hatte die peruanische Ehefrau eines Vikars in Heubach hergestellt. Eine Woche war die Gruppe in Lima und fuhr täglich mit dem Bus ins Armenviertel, um in Einrichtungen wie Volksküche, Apotheke oder Kinderkrippe, die es in behelfsmäßiger Form gab, zu arbeiten. "Die ersten beiden Tage waren wie in einer Trance", erinnert sich Ritz. "Wir haben die Eindrücke zuerst nicht an uns herangelassen, sondern das Elend wie im Fernsehen betrachtet." Doch dann sei die Distanz gefallen und der Schock gekommen. Der sei größer gewesen, als man trotz Vorbereitung auf die Begegnung geahnt hatte. "Es war schlimm zu wissen, wir fahren ins Hotel zurück und lassen die vielen Menschen zurück, die in ihren Hütten auf dem Steinboden schlafen, und wir können nur punktuell helfen."

Damit zumindest diese Hilfe nicht verpufft, beschloss die Heubacher Gruppe nach ihrer Rückkehr, die Unterstützung zu verstetigen. Spendengelder wurden in Gottesdiensten, an Filmabenden und anderen Veranstaltungen gesammelt und zusammen mit städtischen Fördergeldern regelmäßig an den Pfarrer in Laderas überwiesen. 2004 gründete man den Verein "Peru-Gruppe Heubach e.V.", der inzwischen gut 140 Mitglieder und weitere 350 Förderer zählt und von Ritz als Vorsitzendem geleitet wird.

Seither wurden über 300.000 Euro nach Laderas transferiert, allein im vergangenen Jahr waren es 57.000 Euro. Die Mittel kommen den Selbsthilfeeinrichtungen der Partnergemeinde zugute: So konnte die Volksküche komplett saniert und neu ausgestattet werden; ihre Einweihung wurde im April dieses Jahres gefeiert. Für die Frauen, die dort arbeiten, werden Alphabetisierungskurse gezahlt, ebenso werden Kinderbetreuungen und eine Psychologin vor Ort finanziert. Die Entscheidung, wofür die Gelder verwendet werden, wird aber nie einseitig getroffen. "Wir fragen unsere Gesprächspartner in Laderas zunächst: Wo brennt die Situation am stärksten?", erläutert Ritz. Es gehe darum, zuzuhören und auf Augenhöhe miteinander zu sprechen.

Ein besonderes Projekt ist die Kartenwerkstatt in Laderas, weil sie den Bedürftigen zu eigenen Einnahmen verhilft. Derzeit stellen dort zehn Frauen dekorative Postkarten aus Karton und gewebtem Stoff her. Die kunsthandwerklichen Produkte verkauft die Peru-Gruppe Heubach in Deutschland; unter anderem auf Märkten und im eigenen Online-Shop, aber auch an Firmen und Pfarrgemeinden, die die Karten etwa zu Weihnachten an Kunden verschicken. Im vorigen Jahr wurden damit gut 17.000 Euro erlöst - genug Geld, um den Kartenproduzentinnen das ganze Jahr über ein ausreichendes Gehalt zu zahlen.

Sein Traum wäre es, so viele Kunstkarten zu verkaufen, dass man einmal hundert Menschen in Laderas in Lohn und Brot bringen könnte, sagt Gerhard Ritz, der vor seinem Ruhestand als Geschäftsführer ein Softwarehaus geleitet hat. Auch das wäre nur ein Bruchteil in einem Armenviertel mit 70.000 Bewohnern – und doch mehr, als die bloßen Zahlen sagen. Ritz berichtet, dass die Frauen in der Kartenwerktstatt, bestärkt im Selbstwertgefühl durch ihre Erwerbsarbeit, sich für andere im Viertel einsetzen. "Sie sammeln Geld für jene, die noch ärmer sind, oder für Familien, die durch einen Unfall in Not kommen." Ein Beispiel dafür, wie sich Hilfe zur Selbsthilfe fortpflanzt und potenziert. Vielleicht wächst sie eines Tages schneller als die Armutssiedlungen an den Berghängen.

Über den Autor

Richard Meier - Freier Mitarbeiter

Richard Meier - Freier Mitarbeiter

Bei Peru-Vision schreibt er zu Industrie- und Infrastrukturthemen.

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