25. April 2022

Los perros hambrientos / Die hungrigen Hunde

Von Ernst R. Hartmann, Themen Literatur | Newsletter - 27. April 2022

Los perros hambrientos / Die hungrigen Hunde

Ciro Alegría (1909 - 1967), exponierter Vertreter des peruanischen indigenistischen Romans, erzählt in Los perros hambrientos / Die hungrigen Hunde vom Leben und Sterben der cholos im Norden Perus. Sie leben von dem, was die Felder abwerfen. Von ihren Schafherden. Vom gelegentlichen Verkauf ihrer Hunde. So auch die Familie des Simón Robles, seiner Frau Juana und ihrer Kinder. „Sie kannten nichts weiter als Säen und Ernten. Der Rhythmus ihres Lebens war ganz und gar dem der Erde angepaßt.“

Zambo, Wanka, Shapra, Tinto, Mañu, Gutzahn und die anderen Hunde bewachen das Haus und hüten mit Antuca, Vicenta, Pancho, den Kindern der cholos, die Schafherden. „Die Rasse? Wir wollen lieber nicht davon reden. Eine Mischrasse, wie die Peruaner eine sind. Diese tapferen Hunde, Gäste der Andenkordillere, haben nichts Einheitliches außer ihrer kleinen Statur, dem dicken Fell und der gellenden Stimme. Sie sind bleifarben oder schwarz, rötlich, hellbraun oder scheckig.

Wollte man nachforschen, so könnte man wohl eine Verwandtschaft mit dem Fuchs entdecken; aber es kann keinen Zweifel geben, daß sie sich mit dem uralten Alco gekreuzt haben, der dem Inkanat vertraut war. Jene Art von Hund, die heute als ausgestorben gilt, ist bestimmt noch im Haushund von heute gegenwärtig, der so sehr Mestize ist wie sein Herr, der Mensch. Im Zambo und in der Wanka haben sich hispanische Vorfahren zusammengefunden, genau wie in Simón Robles und all den anderen Leuten aus dieser Gegend.“

Die Hunde wachsen, wenn sie als Hirtenhunde die Herden hüten sollen, mit den Schafen auf. Sie werden aus dem Wurf, noch blind, der Hündin genommen und den Mutterschafen zugeführt, trinken deren Milch. Wenn sie endlich die Augen öffnen, finden sie sich wieder in einer Welt praller Euter, vieler Beine, runder und weißer Formen, blökender Stimmen, beißenden Geruchs. „Und sie lernten begreifen, daß die Schafe zu ihrem Leben gehörten.“

Ciro Alegría 02Ciro Alegría erzählt von einer Welt, die eins zu sein scheint: Mensch, Tier, die puna, die Hochebene der Sierra. Die Hunde wachsen „auf diese Weise der Herde verbunden“ heran. Sie teilen ihr Leben „mit den Kordilleranos auf brüderliche Weise.“ Wenn Zambo sich neben der jungen Schäferin Antuca ausstreckt, halten beide „einander warm“. Und von ihr, der Heranwachsenden, heißt es, als sei sie „eins mit dem unermeßlichen und tiefen Schweigen der Kordillere, das aus Stein gemacht schien und aus unüberblickbaren, einsamen Weiten.“

Doch diese eine Welt ist keine heile Welt. Gewaltsam brechen Mensch und Natur ein. Mit ungeheurer Wucht.

Bewaffnete Gendarmen holen Mateo, den Schwiegersohn Simóns, von der Feldarbeit weg zum Militärdienst. Mit auf dem Rücken gebundenen Händen, Peitschenhieben ins Gesicht. Seine Familie wird ihn nicht wiedersehen. – Ähnliches widerfährt Knochen, einem der Hirtenhunde der Familie Robles. Er wird seiner Besitzerin Antuca von den Brüdern Celedón, gefürchteten bandoleros, entrissen. Am ganzen Leib brennend von den Schlägen mit der Rinderpeitsche. – Wir lesen von den indios eines ayllu, der Gemeinde Huaira. Ein Hacendado, ein Großgrundbesitzer, enteignet nach jahrelangen Prozessen, unterstützt von „Vertretern der öffentlichen Ordnung“, ihr Land. Zurück bleiben tote und heimatlose indios. – Wir erfahren vom Hungeraufstand der peones, der blutig endet.

Dann bleibt der Regen aus. Die Saat verdorrt. „Die Hungersnot verbiß sich mit gefräßigen und unnachgiebigen Kinnbacken in den Mägen.“ Als Erste sterben die Alten und die Jüngsten. Die cholos schlachten ihre Schafe. Vom Hunger getrieben fallen die Hündin Wanka, dann Haut und Zambo, die eigene Herde an. „Es war ein ungeheuerlich berauschendes Gefühl, sich die Schnauze mit Blut zu besudeln und … Knochen zu zermalmen, die Elastizität der Sehnen zu bändigen und das schiere Fleisch zu zerkauen, und zu schlingen, schlingen, bis der Bauch voll war …“

Ciro Alegra 01Wir können Alegrías Roman unbeschadet als Hundegeschichten – so der Titel eines Kapitels – lesen. Wir können ihn lesen als Mahnung und Anklage. Als Mahnung, nicht zu vergessen, dass der Mensch, nicht nur der indigenen Welt, und seine natürliche Umgebung aufeinander angewiesen sind. Dass wir nur im Miteinander überleben werden. Als Anklage „so still und ruhig, sogar freundlich erzählt“, dass sie „wie auf Samtpfoten daherkommt.“ (Walter Boehlich im Nachwort) Dennoch als Anklage, die wir nicht überhören können.

Wir, die wir die natürlichen Ressourcen dieser Erde rücksichtslos ausbeuten. Wir, die wir meinen, die eigengesetzlichen Dynamiken der Natur missachten zu dürfen. Wir, die wir allerorten Tiere und Pflanzen, die Schätze der Anden, die Wälder des Amazonas, die Erze des afrikanischen Kontinents unser Eigen nennen. Wir, die wir glauben, die Natur beherrschen zu können. Wir, die wir dem Menschen Wolf sind. Homo homini lupus.

Nicht zuletzt können wir Alegrías Roman lesen als unverdientes Versprechen. Wenn die Natur das, was sie trennte, wieder eint. Wenn der Regen endlich fällt. „Es gibt Augenblicke, da horcht das ganze Leben auf und entdeckt im Wind, in der Farbe der Wolken, im Auge des Tieres und des Menschen, im Ast des Baumes, am Flug der Vögel das bewegende Geheimnis des Regens.“

Der Roman wurde 1976 von Luis Figueroa verfilmt.

Ciro Alegría: Die hungrigen Hunde. Roman. Deutsch von Wolfgang A. Luchting. Mit einem Nachwort von Walter Boehlich. 4. Auflage. Frankfurt am Main 2016. Suhrkamp Taschenbuch Verlag. suhrkamp taschenbuch 447. 164 Seiten 


Film vollständig und Video über das Werk von Ciro Alegría (Spanisch)

Película completa

Comentarios sobre obra de Ciro Alegría


Über den Autor

Ernst R. Hartmann

Ernst R. Hartmann

Ernst R. Hartmann, geboren 1950 am linken Niederrhein. Versteht „links“ nicht nur geographisch. Nach Abitur, kaufmännischer Lehre und Ersatzdienst in einem Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt Studium der Mathematik und der Wirtschaftswissenschaften in Aachen und Freiburg i. Br. Arbeitete lange Jahre als Consultant in Einrichtungen des Gesundheitswesens und als Dozent vorwiegend in der Weiterbildung von Pflegekräften.

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