11. Juni 2024
Mumien von Leymebamba nahe Chachapoyas
Dieser Artikel enthält ein aufschlussreiches Interview mit Sonia Guillén. Sie ist eine renommierte Wissenschaftlerin, die sich auf die Erforschung und Konservierung prähispanischer menschlicher Überreste spezialisiert hat. Ihre Arbeit hat nicht nur zur wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern auch zur Erhaltung des kulturellen Erbes Perus beigetragen. Sie beschreibt ihre Erfahrungen und Herausforderungen bei der Arbeit in der abgelegenen Region Leymebamba und die Bedeutung des Museums von Leymebamba. Dieser Artikel beleuchtet ihren Werdegang, ihre Entdeckungen und ihre Projekte, insbesondere die Gründung des Museums von Leymebamba.
Sonia Guillén begann ihre akademische Laufbahn mit einem Archäologiestudium und spezialisierte sich später auf biologische Anthropologie in den USA, wo sie auch promovierte. Ihr Interesse verlagerte sich von der reinen Forschung hin zur Konservierung und Ausstellung menschlicher Überreste, insbesondere von Mumien. Diese Kombination aus wissenschaftlicher Forschung und praktischer Anwendung hat sie zu einer führenden Expertin auf diesem Gebiet gemacht.
Geschichte
Chachapoyas liegt im Norden Perus am Ostabhang der Anden auf 2335 Meter Höhe und ist die Hauptstadt der Region Amazonas. Die Stadt erfuhr ihre zweite Gründung im Jahre 1538 durch die Spanier und war der Ausgangspunkt für ihre Expeditionen ins Amazonas-Gebiet. Diese Gegend wurde von einer Hochkultur besiedelt, die bereits vor den Inkas existierte und sich heftig der Eroberung durch diese widersetzte.
Zwar wurde die Existenz dieser altamerikanischen Kultur mit der Wiederentdeckung der Festung von Kuelap im Jahre 1843 bekannt, aber erst 1965 entdeckte der bekannte Archäologe Federico Kauffmann-Doig die Lehmfiguren der „Purunmachus“ (Alte Männer) in engen Felsnischen der Anden und 1986 erfolgten weitere Ausgrabungen in Kuelap. Bei den Lehmfiguren handelt sich um Sarkophage von 60 bis 110 cm Länge, die die Mumien von Oberhäuptern der Chachapoya-Kultur bargen.
Im Jahr 2017 wurden weitere Funde in der Lagune der Kondore bei Leymebamba gemacht, wo mehr als 200 Mumien in gut erhaltenem Zustand entdeckt wurden. Leymebamba liegt ca. 80 km (ca. 1,5 Autostunden) von Chachapoyas entfernt.
Leymebamba und die Lagune der Kondore
Leymebamba liegt im Amazonasgebiet Perus und ist bekannt für seinen Nebelwald. Die Region ist schwer zugänglich und nur mit großem Aufwand zu erreichen. Die feuchte Umgebung erschwert die Konservierung von organischem Material. Ursprünglich beschränkte sich das Wissen über die Chachapoya-Kultur hauptsächlich auf Architektur und Keramik, da viele organische Überreste zerstört wurden.
Wichtige Entdeckungen wurden 1997 in der Lagune der Kondore gemacht, darunter ein Mausoleum mit gut erhaltenen Inka-Artefakten wie Quipus, die noch nicht vollständig entziffert sind, und Mumienresten. Diese Funde warfen ein neues Licht auf die Geschichte und Kultur der Region. Als Expertin auf diesem Gebiet wurde Frau Guillén gebeten, die Funde zu untersuchen. Sie und ihr Team entdeckten mehr als 200 gut erhaltene Mumien und 2000 Artefakte. Diese Funde waren für die Wissenschaft von unschätzbarem Wert, da sie Einblicke in die Kultur und die Praktiken der Chachapoya-Zivilisation gaben. Eines der größten Probleme war der Schutz der Überreste vor Grabräubern und unsachgemäßer Behandlung durch Besucher. Um die wertvollen Mumien und Artefakte zu schützen, beschloss das Team, sie nach Leymebamba zu bringen.
Bau des Museums
Die Konservierung der Funde erforderte jedoch eine entsprechende Infrastruktur und Logistik, die nur mit ausreichenden finanziellen Mitteln realisiert werden konnte. Die Anschubfinanzierung übernahm Adriana von Hagen, die Verbreitung der Funde der in Chachapoyas ansässige deutsche Anthropologe Peter Lerche. Die Kontakte von Dr. Guillén zu Prof. Horst Seidler von der Universität Wien, der sich mit der Erforschung und Konservierung der Mumie Ötzi beschäftigte, sicherten die langfristige Finanzierung für den Bau eines Museums. Bereits im Jahr 2000 wurde das Museum im Beisein der Kulturministerin Elisabeth Gehler eröffnet.
Der Bau des Museums in Leymebamba war ein Meilenstein in Guillens Karriere. Das Museum beherbergt rund 2000 Artefakte und dient als Forschungs- und Bildungszentrum.
Bedeutung für die lokale Gemeinschaft
Dr. Guillén erzählt: „Die Einheimischen hatten von Anfang an eine sehr klare Vorstellung davon, dass sie das Recht haben, über dieses Material zu entscheiden, dass es ihr Material ist, nicht nur das ihrer Vorfahren, sondern ihr Erbe. Sie verlangten, an allen Entscheidungen beteiligt zu werden".
Das Museum von Leymebamba hat nicht nur eine wissenschaftliche Bedeutung, sondern trägt auch zum lokalen Wohlstand bei. Es ist ein Symbol für das kulturelle Erbe der Region und ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung in das Projekt hat das Bewusstsein für ihr kulturelles Erbe gestärkt und Arbeitsplätze geschaffen.
Internationale Zusammenarbeit und Forschung
Sonia Guillén ist weiterhin aktiv in der Forschung tätig. Ihre aktuellen Projekte umfassen genetische Studien und die Untersuchung alter Krankheiten in Zusammenarbeit mit internationalen Universitäten und Forschungsinstituten. Diese multidisziplinären Ansätze ermöglichen es, tiefere Einblicke in die Lebensbedingungen und Gesundheitsprobleme vergangener Zivilisationen zu gewinnen, die vor 500 bis 1000 Jahren in der Region lebten. Es bestehen Kontakte zur Universität Helsinki/Finnland und zum Max-Planck-Institut in Deutschland.
Aktuelle Herausforderungen
Das Museum steht vor finanziellen und logistischen Herausforderungen, insbesondere nach der COVID-19-Pandemie. Die Region benötigt grundlegende Verbesserungen wie eine zuverlässige Stromversorgung und sauberes Wasser. Außerdem ist ein Generationswechsel notwendig, da Dr. Guillén bald in den Ruhestand geht.
Fazit
Das Interview mit Sonia Guillén gibt einen tiefen Einblick in die Bedeutung der Konservierung und Ausstellung präkolumbischer Funde in Peru. Es zeigt auch die Herausforderungen und Erfolge beim Aufbau und Betrieb des Museums in Leymebamba. Internationale Zusammenarbeit und kontinuierliche Forschung tragen dazu bei, das Verständnis und die Wertschätzung für die reiche Geschichte und Kultur der Region zu fördern.
Das Museum spielt eine wichtige Rolle bei der Förderung des lokalen Wohlstands und der Bewahrung des kulturellen Erbes.