10. Dezember 2023

Hin und zurück - Ida y vuelta. Eine Inszenierung des Cargo-Theaters Freiburg

Von Ernst R. Hartmann, Themen Gesellschaft und Kultur | Theater | Newsletter - 19. Dezember 2023

Die Premiere

Fischerboote an der Küste Chimbotes

Unser Mitarbeiter Ernst Hartmann war bei der Premiere der Inszenierung des Cargo-Theaters Freiburg dabei.

Um 21:10 Uhr Ortszeit beginnt für uns, das Publikum im Kammertheater des E-Werks Freiburg, eine fiktive, virtuelle Flugreise nach Lima. Zur gleichen Zeit, Ortszeit 15:10 Uhr, startet das Publikum im Teatro Yuyachkani, Lima, seinen Flug nach Freiburg. Beide Reisegruppen sind über Videokonferenz ständig miteinander in Kontakt. Ebenso unsere Reisebegleiter*innen: Carla Wierer und Leon Wierer in Freiburg, Mala und Koki in Lima.

Meine Bordkarte weist mir den Sitzplatz A 10 zu. Von dort erlebe ich unsere Reise im Kammertheater und auf zwei Leinwänden: eine, die uns zeigt, eine zweite, auf der wir unsere peruanischen Reisenden sehen.

Die Wartezeit bis zum definitiven Start verkürzen wir mit einem Ratespiel – mit Bildern von deutschen und peruanischen Gerichten: Maultaschen, Butterbrezel, Causa limeña, Ceviche und anderen. Das Spiel zwischen den beiden Reisegruppen endet unentschieden. Die später eingenommene Bordverpflegung, die aus gemahlenem peruanischem Kaffee, Teeblättern und einem Stückchen Limette besteht und die wir riechend und schmeckend verkosten, ruft bei jeder / jedem von uns unterschiedliche Eindrücke und Assoziationen hervor. Mich führt der kräftige Geruch des Kaffees, den ich noch Minuten nach Ende der Aufführung in der Nase habe, zu einer Wanderung über die peruanische Sierra in die Selva. Der Saft der Limette weckt Erinnerungen an den Genuss von Ceviche.

Ein berührender Moment ist die Schilderung einer letzten Reise. Malafe gedenkt ihrer Großmutter, die vor wenigen Monaten verstarb. Auf Tischen in Freiburg und Lima liegt ein Foto der Verstorbenen. Während Malafe vom Sterben ihrer abuela berichtet, werden die Tische mit Tannenzweigen und Reiseutensilien geschmückt.

Malafe: Apropos Reisen, ich habe in den letzten Monaten auch eine Reise gemacht. Eine Reise der anderen Weise. Vor ein paar Monaten ist meine Großmutter gestorben und mein Kind zur Welt gekommen. Ich nenne es eine Rundreise.

Carla: Du bist im Begriff, Deine Reise anzutreten, und alle Menschen, die Dich lieben, sind hier bei Dir und warten auf den Moment, in dem Du dich entscheidest zu gehen. Es sollte so sein, zu Hause geboren zu werden und zu Hause zu sterben. Hier geboren werden und hier sterben. Heute haben wir das Privileg, dich zu begleiten. Dieses Haus, in dem wir so glücklich waren, ist nun bereit, über dich zu wachen. In meinem Kopf herrscht eine Art Zersplitterung und alle Gedanken sind verwirrt. Ich weiß nur, dass wir jetzt hier sind, bei dir, deine Hand halten und deine letzten Minuten vor der Abreise begleiten. Man sagt, dass der Hörsinn der letzte ist, der verloren geht, deshalb sagen wir dir immer wieder, wie sehr wir dich lieben. Dein Körper beginnt zu zittern, du bist bereit zu gehen. Nach und nach hört der Sauerstoffballon auf zu funktionieren und die Hände zeigen an, dass du ihn nicht mehr benutzt. Du bist weg.

Malafe: Du bist mit einem wunderschönen Blumengarten gegangen. Ich glaube, meine Besessenheit von Pflanzen begann an dem Tag, als du gingst. Ich wollte wissen, woher die Pflanzen kamen, auf welche Kraft jeder Trieb, jede Wurzel reagierte, woher das Leben kommt, wie es vor unseren Augen entsteht und wie es wieder verschwindet. Ich beobachtete die Pflanzen stundenlang, wochenlang, monatelang, im Wasser, in der Erde. Ich ließ sie sterben, verwesen, verrotten. Man sagt, der letzte Sinn, der verloren geht, ist das Hören. Was passiert, wenn ein Körper stirbt, wohin geht die Lebensenergie?

Unsere Reisegruppe ist von Beginn an mit Spielfreude und Begeisterung bei der Sache. Das ist nicht zuletzt der herausragenden Leistung unserer Reisebegleiter*innen Carla und Leon zu verdanken, die mit gleicher Freude und Begeisterung spielen, animieren, performen … und übersetzen.

In der letzten Szene, der Begegnung der beiden Reisegruppen über dem Atlantik, haben Reisende aus Lima und Freiburg die Möglichkeit, einander Fragen zu stellen. Unsere Fragen bleiben an der Oberfläche. Bleiben leider unverbindlich. Hier zeigt sich, dass die Nähe, die ich zu fernen, unbekannten Menschen während der Inszenierung aufgebaut habe, nicht selbstverständlich ist: tan cerca – tan lejos / so nah – so fern.

Weitere Aufführungen: 15.12.2023, 16.12.2023 und 17.12.2023 im Südufer Freiburg.

Über den Autor

Ernst R. Hartmann

Ernst R. Hartmann

Ernst R. Hartmann, geboren 1950 am linken Niederrhein. Versteht „links“ nicht nur geographisch. Nach Abitur, kaufmännischer Lehre und Ersatzdienst in einem Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt Studium der Mathematik und der Wirtschaftswissenschaften in Aachen und Freiburg i. Br. Arbeitete lange Jahre als Consultant in Einrichtungen des Gesundheitswesens und als Dozent vorwiegend in der Weiterbildung von Pflegekräften.

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